Viñales-Gebirge, Mogotes, Höhlen
Kubatour 2000
von Thorsten Bühn

Das Höhlensystem von Santo Tomás
Ausflug in eine unberührte Unterwelt


Die Gegend um Viñales bietet mit jedem Berg die Möglichkeit, Höhlen zu entdecken und zu erkunden. Das ganze Gebiet mit den buckligen Mogotes ist de facto eine sogenannte Doline, eine eingestürzte Höhle. Die Mogotes bilden als verwitterte Rudimente des Hartgesteins ähnlich majestätisch wie die Felsformationen im nordamerikanischen Monument Valley in jeder Richtung einen Blickfang. Das vor Millionen Jahren eingestürzte Deckgebirge füllt inzwischen die Täler aus, so dass die runden Buckel in einer weiten Ebene zu stehen scheinen. Mit dem Fernglas betrachtet, werden in jeder Felswand unzählige Löcher sichtbar: durch Erosion freigelegte Höhlengänge. Porös wie riesige gelbrote Bimssteine machen die Mogotes Appetit, diese Löcher genauer zu erkunden.

Die Cuevas del Pueblo (zu einer lauten Folklore-Diskothek umgebaut) und die Cuevas del Indio (mit angestautem Fluss, auf dem man mit tuckernden Motorbooten durch die Höhle fahren kann) bieten zwar dem durchreisenden Bustouristen angemessenes Beinevertreten und den aus den Reiseführern herausgelesenen "Ah-und-Oh-Effekt", eine Höhle an sich - als Resultat der Naturgewalt in all ihren Faszinationen und Brüchen - erlebt man nicht dort, wo die Wege durch die Höhlen behindertengerecht betoniert und die Ecken in den Gängen massentouristenfreundlich abgestumpft wurden.

Mein improvisiertes Spanisch reichte aus, um einen Ort aufzufinden, der gelegentlich von einheimischen Fremdenführern und auf Nachfrage auch von Hotels als Tages-Survival-Tour angeboten wird: Das Höhlensystem von Santo Tomás.

Etwa 10 km westlich von Viñales gelegen, ist es zwar nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, aber mit einem Taxi oder besser noch dem Mietwagen ist dieses Hölensystem über die Straße Richtung Pons - Minas de Matahambres schnell erreichbar (Ausfahrt aus Viñales siehe Viñales-Karte). Bei der Kreuzung El Moncada links abbiegen, dann wieder rechts und bei zwei Kreisverkehren unbedingt auf die kleinen Holzschilder "Cueva" achten (siehe Spezialkarte.

Im kubatypisch kargen Kassenraum erwartet den Besucher eine handgemalte, mehrere Quadratmeter große Karte des Höhlensystems, dessen Gänge in verschiedenen Ebenen von den einheimischen Späleologen (Höhlenforschern) bereits über 180 km erkundet und dokumentiert wurde.

Je nach Entdeckerlaune und Höhlenlust stehen kurze bis mehrstündige Touren zur Auswahl, die vor Ort mit den einheimischen (nur spanischsprachigen) Höhlenführern abgesprochen werden können. In wenigen Ausnahmen kann das gewünschte Individual-Programm auch ganz entfallen: Wenn sich nämlich ein Reisebus zur Höhle verirrt hat und die Führer alle Hände voll zu tun haben, strandsteife Touristen durch den Berg zu schieben.
Ich entschied mich für die anderthalb bis zweistündige Standardtour und nach berggemäßer Ausrüstung mit Helm, Lampe und Seil ging es halb durch den Ort zu einem Parkplatz nahe am Berg und quer über ein Feld, bis wir an der 90 Grad-Wand des Berges auf einen schmalen Pfad trafen, der sich in atemberaubender Manier die Felsen hocharbeitete. Unterstützt von wackeligen Pflöcken und jahrzehntealten Seilen erklimmt man nun die Wand außen bis in eine Höhe von etwa 40 Meter, dort befindet sich der Einstieg in das Höhlensystem (Aufstieg bei nassem Untergrund nicht empfohlen). Oben angekommen, wandert man innerhalb der Steilwand durch eine Galerie offener "Käselöcher", die wie ein Diavortrag immer wieder einen grünen Blick über die weite Palmenlandschaft freigeben. Dann jedoch geht es tief in den Berg hinein, vorbei an Fledermausquartieren und über viele Gesteinsbrocken hinweg. Die Luft, auf den ersten Metern noch karibisch windig-frisch mit ständigem Austausch durch die vielen Löcher an der Außenwand des Berges, wird nun zusehends stickiger. Je weiter wir in den Berg eindringen, desto heißer wird es. In den tieferen Kammern, die wir erkunden, haben wir 34 Grad Celsius und eine 100%-ige Luftfeuchtigkeit. Da wird jede Bruchstelle, die man überklettern muß, jedes Freeclimbing auf eine höhere Ebene zum Saunagang.

Nach gut 45 Minuten deutet ein wohltuender Luftzug darauf hin, dass wir uns einer Außenwand des Berges nähern, aber es ist nur eine Doline innerhalb des Mogote (aus der Vogelperspektive müßte sie wie ein Krater aussehen). Wir treten aus dem Berg unvermittelt in ein grünes Paradies. In dieser Krater-Doline sammelt sich die Niederschlagsfeuchtigkeit und hier finden wir auch eine üppige subtropische Flora und Fauna. Eine Kulisse wie bei Indianer Jones: Verschlungene Pflanzen, unaufgeräumtes Riesengeröll und ein Tageslicht, dass einen grün in die Augen blendet. Zeit für eine Rast und die Erkundung der Doline. Zu meinem Erstaunen wachsen hier kleine (fruchtlose) Obstbäume, ein Beweis, dass die Fledermäuse ein sehr unkompliziertes Verhälnis zu ihrem Müll haben und die Kerne ihrer Nahrung einfach fallen lassen. Später sehen wir noch innerhalb der Höhle mickrige Farne, die ihren Lichtbedarf nur vom Schein der touristisch vorüberziehenden Taschenlampen decken.

Jenseits aller Himmelsrichtungen geht es wieder kreuz und quer durch den Berg, entlang eines flachen, unterirdischen Flusses (während der Regenzeit unpassierbar) und an malerischen kleinen Seen vorbei. Hier die nächste Überraschung: Fernab jeden Lichts paddeln in den kleinen Seen 5-DM-Stück große Krebse durchs Wasser! Blind wie sie sind, lassen sie sich durch unsere Lampen auch nicht von ihrem Müßiggang abbringen. Ein paar Schritte weiter der nächste Bewohner: Ein kleiner farbloser Frosch, dessen Kopf zu zwei Dritteln aus großen schwarzen Augen besteht. Der arme Kerl ist so erschreckt, dass er im Lichtkegel unserer Lampen wie versteinert da sitzt und erst nach einem kurzen Ausschalten der Lampen mit einem "plop" ins Wasser hüpft. Wieder eine halbe Stunde später in einem anderen Teil des Berges die nächste Überraschung, die auf die komplizierte und für uns ungewöhnliche Entstehung dieses Gebirges und seiner Höhlen deutet: Ein Korallenriff in einer Höhle! Natürlich sind diese Korallen längst tot, aber ihren Zauber der Struktur haben sie nicht verloren. Ihren messerscharfen Formen fehlen zur Perfektion nur noch die bekannten Farben. Nach 2 Stunden erreiche ich mit meinem Führer wieder die Galerie am Einstieg zur Höhle. Beeindruckt, verschwitzt und verdreckt biete ich ihm eine Zigarette an, bevor wir wieder an der Steilwand ins Tal hinabsteigen. Ich beschließe für mich: Diese Höhle ist anders als die mir bis dahin bekannten.

Und habe ich eigentlich die ganz "normalen" Dinge in dieser Höhle schon erwähnt? Die "versteinerten Wasserfälle"? Die meterhohen Stalaktiten und Stalagmiten? Den "Jungfrauensessel", einen ca. 20 cm hohen, dicklichen Stalagmiten mit einer authentischen und völlig unzensierten Formgebung? Die "Giraffe", den "Totenkopf" und "Das weinende Auge"?

Einer der wichtigsten Vorzüge Kubas ist ohne Zweifel die Sonne von oben.
Kuba von unten ist aber mindestens ebenso interessant ...
Anfahrtskarte Höhle Santo Tomás
hier eine Karte mit dem Anfahrtsweg in
El Moncada zur Höhle Santo Tomás


handgefertigte Eintrittskarte der Höhle Santo Tomás
Die überschaubare Besucherzahl der Höhle Santo Tomás erlaubt es der Kassiererin (Vollzeitkraft), handgefertigte und signierte Eintrittskarten in limitierter Auflage auszugeben
(gültig nur mit Stempel).



       



© text, photos, concept, design and program by Thorsten Bühn, Berlin, Germany